Beograd, die „weiße Stadt“ („beo“ = weiß, „grad“= Stadt) wirkt wie ein wildes Tier – ungestüm, eigenwillig, schön in seiner Schroffheit. Kyrillische Buchstaben flimmern über alte Jugendstil-Fassaden, deren Metallornamente unter Ruß und Patina hervor blitzen. Farbreste mit neuen Street-Art-Tags auf sozialistischen Mauern, deren Putz bereits kapituliert hat.

Die Stadt ist eigensinnig, ungekünstelt. An manchen Ecken hässlich, aber an vielen auch mitreißend. Belgrad ist sein eigenes Zentrum, hat seinen eigenen Rhythmus. Zwischen Save und Donau.
Zwischen Belle-Époque & urbaner Rebellion
Seit Jahrhunderten prallen hier Einflüsse aufeinander: die Osmanen mit ihren Minaretten, die Habsburger mit ihren Boulevards, später Tito mit seiner Mischung aus Sozialismus und mediterranem Pragmatismus. All das hat Spuren hinterlassen – architektonisch, seelisch und auch kulinarisch. Belgrad trägt all das wie eine abgewetzte Lederjacke: nicht nostalgisch, nicht modisch – sondern selbstverständlich.

Wer Belgrad verstehen will, beginnt am Hotel Moskva. Seit 1908 steht es an der Terazije, dem historischen Boulevard im Herzender Stadt. Ein Jugendstil-Koloss mit russischer Secession, goldenen Ornamenten und Patina, die nicht alt, sondern „erlebt“ wirkt.
Früher war das Moskva Treffpunkt für Diplomaten, Literaten und Künstler, die hier einen Zwischenstopp zwischen Ost und West einlegten – ein Ort, an dem Belle Époque auf Balkan-Puls traf. Heute mischen sich Geschäftsleute mit Touristen und jungen Kreativen, die zwischen verrosteten Ornamenten Kaffee trinken, Fotos machen oder einfach die Atmosphäre der Stadt aufsaugen. Die Patina des Hauses wirkt wie eine stille Chronik der Stadt: unaufdringlich, aber stolz und voller Geschichten.
Nur ein paar Schritte weiter entfaltet sich Skadarlija, das alte Bohème-Viertel Belgrads. Hier reiht sich Kafana an Kafana– traditionelle Gasthäuser, in denen gegessen, getrunken, diskutiert und musiziert wird, oft seit Generationen in Familienbesitz. Zwischen verwinkelten Gassen, Kopfsteinpflaster und Laternenlicht mischen sich Akkordeon, Gitarre und Gesang mit dem Duft von Rauch. Skadarlija wird gern als „Montmartre des Balkans“ bezeichnet.

Inmitten der Gassen steht die legendäre Kafana Tri Šešira. Seit 1864 wird hier traditionell deftig gekocht, gegessen und gefeiert. Verwinkelte Räume mit Kaminen, alte Holzstühle und vergilbte Fotos an den Wänden erzählen von vergangenen Zeiten. Dazu klingt Musik aus rauen Kehlen. Die serbischen Klassiker wie Ćevapčići oder Eintöpfe wie das butterzarte Telećepečenje vom Kalb, langsam über offenem Feuer gegart, könnten direkt aus der Küche der Großmutter stammen. Hier zeigt sich die traditionelle Balkan-Küche in ihrer ganzen Schwere und Würde. Bier passt hier besser als Wein, und ein selbstgebrannter Rakija danach – Pflaume oder Quitte – gehört eigentlich zur Zeremonie dazu.



Wer durch Belgrad läuft, begegnet einer Stadt, die nichts beschönigt: ausgebrannte Fassaden, Narben des NATO-Bombardements von 1999, bewusst als Freiluftmahnmal erhalten – daneben Cafés und stilvolle Bars voller junger Kreativer. Diese Koexistenz aus Schmerz und Aufbruch ist typisch Belgrad - roh, ungefiltert und faszinierend zugleich.
Balkan, but make it Bold.
Hoch über der Stadt
Die Kalemegdan-Festung thront über Donau und Save und erzählt mehr als 2000 Jahre Machtgeschichte. Römer, Byzantiner, Osmanen und schließlich die Habsburger – sie alle haben hier ihre Spuren hinterlassen. Zwischen den alten Mauern flanieren heute Familien, verliebte Paare, Jogger und Touristen, und man spürt, wie hier Geschichte und Gegenwart aufeinandertreffen. Von hier oben wirkt Belgrad wie ein lebendiges Panorama: rau, facettenreich und voller Energie, die aus der Vergangenheit in die Gegenwart fließt.

Am Abend lohnt sich ein Besuch im Klub Književnika, dem Literatenrestaurant seit 1946. Retro-Eleganz, schwere Stoffe, alte Fotografien an den Wänden – ein Ort, der die literarische Tradition Belgrads atmen lässt. Das Kalbs-Carpaccio ist perfekt, die Pljeskavica mit Trüffel eine würdige serbische Antwort auf den Gourmet-Burger.
Für den Absacker bietet sich Podrum Wine Art an, eine stilvolle Weinbar mit dezenten Jugendstil-Anklängen. Hier zeigt die heimische Winzerszene, was sie kann: der mineralische Morava von Čilić und der elegante Marmelade Orange von Deurić – zwei Weine mit Handschrift, kompromisslos und ungekünstelt. Ein Ort, an dem man sich zurücklehnen und in Ruhe probieren kann und die ganze Bandbreite hervorragender serbischer Weine genießen darf.

Neue Wellen, alte Wurzeln
Dorćol, das kreative Herz Belgrads, wirkt wie Brooklyn nach einer Balkan-Kur: alte Balkanhäuser, versteckte Höfe, Galerien, Boutiquen, Bars. Im Supermarket Deli trifft sich die Szene zum Frühstück – Palatschinken neben modernen Brunch-Kreationen, Kunst an den Wänden, Designmöbel zwischen Beton und Ziegel. Ein Raum, in dem die Stadt pulsiert.
Die Küche Belgrads ist selbstbewusst wie nie zuvor. Viele Köche haben in London, Kopenhagen oder Wien gelernt – und kehren zurück, um ihre traditionellen Gerichte modern zu interpretieren, regionale Produkte zu feiern und die eigene Esskultur sichtbar zu machen: Flussfisch, Eintöpfe, Bergkräuter, alte Rezepturen – kreativ und unverstellt. „New Balkan Cuisine“, kein Trend, sondern Ausdruck von Stolz und Selbstsicherheit.
New Balkan Cuisine - Tradition mit Upgrade.
Vanja Puškar, einer der führenden Köpfe dieser Bewegung, nimmt klassische Kafana-Gerichte wie Kalbskopf oder Innereien und verwandelt sie in elegante, moderne Kompositionen. Im Salon 1905, für viele eines der besten Restaurants Serbiens, überrascht Ivan Tasić mit Gerichten, die im Gedächtnis bleiben: fermentierter Šopska-Salat, Tomatenmarmelade, Gurken in Zitronenöl. Im Langouste verbindet Marko Đerić Kindheitserinnerungen – Flussfisch, Waldkräuter – mit Techniken, die an skandinavische Sterneküchen erinnern.
Diese Küche ist nicht nostalgisch, sie ist selbstbewusst, kreativ und gleichzeitig tief verwurzelt im Balkan – eine perfekte Mischung aus Tradition und Moderne, die Belgrad auf der kulinarischen Landkarte unverwechselbar macht.

Das Suvenir auf dem Fluß
In Novi Beograd, auf der anderen Seite der Save, liegt eines der eindrucksvollsten Restaurants der Stadt: das Suvenir, ein Hausboot-Restaurant, skandinavisch klar eingerichtet, Wohnzimmer-Atmosphäre mit unverkennbaren Balkan-Elementen. Ein Brotwagen kündigt schon beim Eintreten die Liebe zum Detail an.

New Balkan — but grown-up.
Auf dem Teller begegnen sich traditionelle Rezepte mit zeitgenössischer Raffinesse Salata od cvekle (Rote-Bete-Salat), die klassische Fischsuppe mit Flussfischen und der Šmudj na smederevski –Zander, langsam mit Paprika und Gemüse geschmort, zart, saftig, mit einem Hauch Rauch und Gewürzen. Perfekt dazu passt der charakterstarke Sauvignon „Manifest“ von Čilić aus Šumadija. Die Weinkarte mit über 200 serbischen Positionen ist ein stolzes Zeugnis der heimischen Winzerszene.

Nach dem Essen unbedingt einen Spaziergang entlang des Ufers einplanen!
Splavovi:
Belgrads schwimmende Seele
Ein prägendes Element des Belgrader Nachtlebens sind übrigens die Splavovi – schwimmende Bars, Restaurants und Clubs auf beiden Flüssen. Sie sind weit mehr als Locations: Gastronomie, Musik und Lebensfreude verschmelzen hier zu einem eigenen Rhythmus.
Die Stadt lebt, ausgelassen und frei, während die Lichter auf dem Wasser tanzen.


Fisch, Feuer, Vergangenheit: Restoran Šaran

Ein Spaziergang durch Zemun, ein charmantes Viertel am Rande Belgrads, führt vorbei an pastellfarbenen Häusern, dem Gardoš-Turm und der Donaupromenade – eine kleine habsburgische Miniatur, still und pittoresk.Am Ufer liegt das über 100 Jahre alte Fischlokal Restoran Šaran, einst von einem alten Fischer gegründet.
Hier gibt es Fisch in all seinen Facetten: Vom regionalen Flussfisch vom Grill bis zu den adriatischen Garnelen im aromatisch abgeschmeckten Weißweinsud. Die Zubereitung vereint Tradition und zeitlose Handwerkskunst. Das Ambiente wirkt durch das rustikale Mobiliar und die Gastgeber irgendwie aus der Zeit gefallen. Dazu passt ein Malvazija von Kozlović – ein Wein, der die Gerichte souverän begleitet, ohne ihnen die Show zu stehlen.
Druide – Belgrads bestgehütetes Geheimnis
Zurück in der Altstadt führt eine unauffällige Klingel in die Druide Bar, ein winziges, geheimnisvolles Speakeasy, das wie eine Szene aus einem alten Schwarz-Weiß-Stummfilm wirkt – man fühlt sich, als wäre man mitten in Belgrads Untergrund. Der Barkeeper mixt Drinks, als könne er die Gedanken seiner Gäste lesen: Errore, Honey Whip, Plummet oder Bitter Tears.
Eintritt: flüstern.

Wer hier einen Drink probiert, versteht sofort, warum die Bar-Szene Belgrads so europaweit begeistert: Intimität, Präzision und eine Prise „Mysteriöses“ verwandeln jeden Drink in ein unvergessliches Erlebnis.
Hier, im Souterrain, treffen serbische Geschäftsmänner auf Künstler und Liebhaber guter Drinks. Ein paar Figuren wirken wie Statisten aus einem Mafia-Klassiker, andere wie Schauspieler, die ihre Rolle zu gut spielen. Ein Ort mit Sogwirkung.
Die Essenz der serbischen Seele
Am nächsten Morgen geht es ins Kafe Poslastičarnica im Hotel Moskva. Ein üppiges Frühstücksbuffet lockt, dazu Kuchen, die wie kleine Operettenstücke wirken – zart, süß, mit viel Liebe zum Detail. Gäste aus allen Generationen sitzen an den Tischen, manche in Eile, andere genießen die Zeit mit ruhiger Gelassenheit. Es ist, als würde man eine kleine Zeitreise unternehmen.

Wer die Stadt noch einmal wirklich spüren will, steigt in die alte Straßenbahn oder einen der ebenso betagten Busse. Eng, laut, fast immer überfüllt. „Everything is free – we are here in Belgrad, da?“, ruft jemand lachend, während wir Fahrkarten kaufen wollen und die Bahn ächzend durch die Stadt schaukelt. Man riecht Motoröl, Vergangenheit und Leben – alles gleichzeitig.

Zum Abschluss lockt ein Glas in der Weinbar Pinòt im neuen Stadtteil Savski Venac, direkt an der Save. Burgunder, französische Klassiker, aber auch serbische Weine stehen hier auf der Karte, viele im Offen-Ausschank. Besonders empfehlenswert: der Kovačević Brut, oft als „der Champagner Serbiens“ bezeichnet, oder ein kräftiger Prokupac von Zmajevac. Beim Servicepersonal spürt man sofort die Freude und den Stolz, wenn Gäste die Vielfalt und Qualität der serbischen Weine entdecken wollen.

Mit Haut und Haaren

Belgrad ist keine Stadt für den flüchtigen Blick. Man muss sie erleben, einatmen, spüren. Zwischen den traditionellen Kafanas, Naturweinbars, Belle-Époque-Palästen und Monumenten des jugoslawischen Realismus zeigt sie ihre Seele: unabhängig, widersprüchlich, rau – und trotzdem herzlich. Eine Stadt, in der Vergangenheit und Zukunft Hand in Hand gehen.
Rumpeln als Rhythmus.
Auf dem Weg zum Flughafen rumpelt der Taxi-Oldtimer mit seinen durchgesessenen, abgewetzten Ledersesseln über Schlaglöcher, Stoßdämpfer Fehlanzeige. Alte Zeitungen, Plastiktüten und ein Großeinkauf liegen verstreut im Wagen. Der grauhaarige, vom Leben gezeichnete Fahrer summt und pfeift während der Fahrt.
Zum Abschied drückt er uns breit grinsend durch seine Zahnlücken einen Stapel unterschriebener Blanko gelassener Quittungen in die Hand. Business und Lebensgefühl im „Balkan-Style“ – in seiner ganzen liebevollen Echtheit!
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Belgrad – Empfehlungen
ÜBERNACHTUNG:
Hotel Moskva
Terazije 20, 11000 Belgrad (Stari Grad)
ESSEN GEHEN:
Kafana Tri Šešira
Skadarlija 29, 11000 Belgrad (Stari Grad)
Restaurant Suvenir
Blok 44, Gandijeva BB, 11070 Belgrad (Novi Beograd)
Klub Književnika
Francuska 7, 11000 Belgrad (Dorćol)
Restoran Šaran
Kej Oslobođenja 53, 11080 Belgrad (Zemun)
Salon 5
Avijatičarski Trg 5, 11080 Belgrad (Zemun)
WEINBARS / ABSACKER
Pinòt Belgrade
Omladinskih Brigada 86ž, West 65, 11000 Novi Belgrad
Podrum Wine Art
Višnjićeva 7, 11000 Belgrad (Dorćol)
Druide Bar
Jankova 1, Belgrad 11080 (Stari Grad)
FRÜHSTÜCK / BRUNCH / CAFÉ-KULTUR
Supermarket Deli
Topličin venac 19–21
D59B Specialty Coffee
Kralja Petra 70, Belgrad
Pržionica
Dobračina 59b, 11000 Belgrad
SLOJ Café & Bakery
Gospodar Jevremova 9, 11000 Belgrad
Kafe Poslastičarnica Moskva
Terazije 20, 11000 Belgrad














