Andouillette AAAAA

Sie kommt aus Lyon, einer Stadt, seit jeher furchtlos gegenüber Innereien, Kutteln also, Blutwürsten auch. Die Andouillette wird aus Schweinedärmen gemacht. Das fünffache A steht für „Association amicale des amateurs d'andouillettes authentiques“. Diese Vereinigung vergibt Qualitätsauszeichnungen mit ihrem Kürzel „AAAAA“.

Die Wurst soll nach Darm schmecken, also nach dem, was drin ist.

Die Association kennt weder Erbarmen noch Furcht, sie ist die Fremdenlegion unter den kulinarischen Vereinigungen. Die Andouillette ist Darm im Darm.

Sie besteht aus Schweinedärmen, manchmal auch solchen vom Kalb, von der Kuh oder vom Geflügel. Diese werden in feinste Stücke zerteilt und nicht zu stark gewürzt in Schweinedärme gefüllt. Die Wurst soll nach Darm schmecken, also eigentlich nach dem, was drin ist beziehungsweise war. Im Pariser Bistro Le Pharamond, welches der Lyonnaiser Küche gewidmet ist, bestelle ich als Vorspeise Kutteln in Cidre, als Hauptgang ein braves Medaillon vom Rind mit Pommes Soufflés. Dem Tischkompagnon sage ich: „Probiere die Andouillette AAAAA.“ Zur heißen Andouillette AAAAA gibt es Erbsenpüree. Es stinkt nach Schweinestall. Er hat keine Ahnung, es graust ihm. Die arme Wurst wandert zurück in die Küche.


Casu Marzu

Der unvergleichliche Gestank dieses sardischen Käses kommt von der Gefräßigkeit einer Fliege beziehungsweise deren Larven. Diese Käsefliege platziert ihre Larven in der weichen Mitte der langsam gärenden Milch, die unter allen anderen Umständen als von der Europäischen Union als hygienisch bezeichnet dahinreift. Aus den Larven werden Maden, und sie haben Hunger. Der Stinkekäse schmeckt ihnen und sie fressen sich durch und kacken ihn voll. Wenn der Madenkäse als genussreif bezeichnet wird, wimmelt es darin vor Maden, sie hüpfen vor Freude über den menschlichen Besuch. Was sie nicht wissen, ist, dass sie gemeinsam mit dem Käse in Kürze verspeist werden. Lebende Maden können dann in Magen und Darm des Käseliebhabers verheerende Schäden anrichten.

Für Durchfall reicht es allemal. Doch den Liebhabern des Casu Marzu, den es außerhalb Sardiniens eigentlich nicht gibt, ist das höchst gleichgültig. Sie teilen den Käsegenuss gerne mit den Maden der Käsefliege. Und was danach kommt, erinnert uns auf beruhigende Weise an den oft erzählten Kreislauf der Natur. Vielleicht, dass wir ja auch Maden sind und unser Planet ein riesiger Käselaib.


Duran

Manche in Deutschland lassen sich filmen, während sie eine Duranfrucht mit dem Messer zerteilen und dran riechen, schließlich einen Bissen probieren. Sie wissen nicht, dass das Geruchsvideo noch nicht erfunden ist. Die Duranfrucht ist der 15-Meter-Sprungturm unter den Speisen.

Man weiß, es wird furchtbar werden, riecht aber dennoch daran, die besonders Mutigen erhöhen auf 30 Meter, und beißen hinein. Und der Gruppenzwang.

Man weiß, es wird furchtbar werden.

Auf einem der großen Märkte in Bangkok, die es auf 200 Millionen Einträge auf Tripadvisor bringen, hat der thailändisch-indische Celebrity-Küchenchef Gaggan Anand eine Gruppe von westlichen Journalisten und Foodies versammelt. Eine Duranfrucht wird in einer Serviette herumgereicht. Es stinkt nach altem Brie, nach mehrmals gebrauchten Bergsocken, getragen auf einer Tour durch die drei Zinnen, mit mehreren Hüttenpausen ohne Fließwasser. Genau so schmeckt es auch. Je mehr das Fruchtfleisch einer vom Feuer einer MG zerfetzten Mango oder Ananas ähnelt, desto widerlicher wird der Gestank. Die Duran ist der Époisses unter den Früchten.

Sie allerdings schmeckt sehr zivilisiert, wenn sie jung serviert wird, zum Beispiel im berühmten Restaurant „Paste“ in Bangkok, wo die Chefköchin Bee Satongun Duranwürfel mit Lammcurry serviert.

Époisses

Die Japaner riechen lieber an getragener Unterwäsche, da wo’s am meisten wehtut, als an einem europäischen Käse. Stellvertretend für viele seiner Arten – ob Munster oder Quargel – stellen wir Époisses vor. Époisses ist Kuhmilchkäse, der zuerst mit Salzlake, später mit Marc de Bourgogne gewaschen wird, während er reift. Er gehört zur Gruppe der deftigeren Käse. Der Époisses war der Lieblingskäse Napoleons. Das war der Typ, der seiner Maitresse Josephine geschrieben haben soll: „Ich komme in ein paar Tagen zurück, wasche dich nicht!“

Er riecht nach getragenen Muskel-T-Shirts und ...

Der französische Regisseur Luc Bondy, als er die Intendanz der Wiener Festwochen innehatte, pflegte gerne an einem Stand am Naschmarkt gereiften Époisses zu bestellen, vor allem gerne, wenn er in Damenbegleitung unterwegs war.

Er tauchte die Finger in den davonlaufenden Käse, und hielt sie triumphierend in die Höhe. Den Damen gefiel das.

Mittelreifer Époisses schmeckt, wenn er aus gutem Haus kommt, nach Kuhstall, nach Heu, nach karamellisierter Milch. Überreifer Époisses hat eine Menge Ammoniak im Aroma, er riecht nach getragenen Muskel-T-Shirts und wie die Teile des Menschen, die man nach den Angaben des Hautarztes besonders sorgfältig waschen und reinigen soll. Époisses hingegen benötigt zum Waschen nur Salzlake und Marc de Bourgogne. Um diesen Käse zu überleben, braucht es dringend weiteren Marc, nicht zum Waschen, sondern im Schnapsglas, oder gleich Château d’Yquem oder 250.000 Jahre alten Madeira.


Hakàrl

Der Grönlandhai kann bis zu hundert Jahre alt werden. Wird er von Menschen gefangen, rächt er sich dafür durch sein anfänglich ungenießbares Fleisch. Denn dieser Eishai lagert Harnstoff in seinem Körper ab, anstatt ihn über die Nieren auszuscheiden. Das Gift muss nach dem Töten des Fisches erst einmal in Ammoniak umgewandelt werden. Dazu wird dem Fleisch einige Monate Ruhe gegeben, es wird vergraben, oder in Holzkisten gelagert. Danach kommt das gummiartige Fleisch des Grönlandhais in eine offene Holzhütte. Dort entweicht das Ammoniak.

Der Geschmack des Hakàrls, der in Island als traditionelle Delikatesse gilt, ist für Nichtisländer eine Herausforderung, wie viele andere getrocknete oder sonstwie gereifte Fischgerichte, die zur Snackkultur der Insel gehören. Man genießt Hakàrl für gewöhnlich mit einem Schluck vom isländischen Brennivín. Wer vom umgangssprachlich Gammelhai genannten Hakàrl nicht genug bekommen kann, für den gibt es in Island auch den Gammelrochen, einen nach ähnlicher Methode gereiften, man könnte auch sagen: vor sich hin rottenden Fisch. Kaest Skata riecht und schmeckt ebenso prägnant und gilt als traditionelles Vorweihnachtsessen, das außer Salz nicht mehr viel Würze braucht. Dazu trinkt man Milch.


Mensch

Gott bewahre! Der Mensch ist kein Nahrungsmittel, aber damit, was er aus Nahrungsmitteln macht, verdient er einen Platz auf dem Siegerstockerl wirklich großer Stinker. Gib einem U-Bahn-Passagier eine Knoblauchpizza. Gib einem Taxifahrer einen Döner mit einer kräftigen Portion Zwiebel. Was im Menschen drin ist, das muss wieder hinaus, und weil es manche Aromen eilig haben, nehmen sie die Abkürzung über Schweißdrüsen und Atemluft. Der Mensch ist eine Duranfrucht auf zwei Beinen. Deshalb ist die Parfumindustrie so erfolgreich.


Stinky Tofu

In China und anderen Ländern Asiens ist Tofu Grundnahrungsmittel. Seine geruchsmäßig auffälligere Variante verdankt die Welt angeblich einem Zufall. Ein Tofuhändler habe Tofu aufbewahren wollen und ihn mit Salz in einen Krug gegeben. Die Mikroorganismen leisteten ganze Arbeit. Das Ergebnis stank fürchterlich, schmeckte aber toll. Stinky Tofu gibt es als Füllung von Teigtaschen, frittiert, mit Saucen oder als Komponente von Eintöpfen. Mittlerweile erfolgt die Produktion des fermentierten Tofus in industriellem Ausmaß. Er ist eine Art von Käseersatz für die Chinesen.


Surströmming

Nicht nur in Südkorea gefertigte Mobiltelefone werden bei Fluglinien schräg beäugt, auch Konserven, welche das schwedische Surströmming enthalten. Ihre Mitnahme ist auf Flügen verboten. Denn manchmal wölben sich nicht nur die Deckel der Dosen, weil der Hering darin munter vor sich hin gärt. Manchmal explodieren die Dosen auch einfach. Das machen die während der Gärung freigesetzten Gase.

Surströmming zählt in Schweden zur Alltagsnahrung. Im Frühjahr gefangene Heringe werden ausgenommen und in Salzlake eingelegt. Dort machen sie es sich bequem. Schließlich wird der gärende Hering samt Salzlake zum Weitergären in Konserven verpackt. Nach Monaten ist die Delikatesse bereit, sie wird mit Kartoffeln, Rahm und manchmal auch einem Glas Milch eingenommen.


Trüffelöl

Ganz ohne Beteiligung von Zeit und Mikroorganismen kommt die Herstellung von industriell hergestelltem Trüffelöl aus. Es wird komplett im Labor gefertigt. Dieses Öl hat nie einen Trüffel gesehen, weder schwarz noch weiß. Nur in Ausnahmefällen wird es mit den Abschnitten von Perigord- oder Albatrüffeln zubereitet. Zu langwierig, zu teuer. In der mittelständischen, manchmal auch in der sogenannten Luxusgastronomie erfreute sich industriell mit patentierten Aromastoffen erzeugtes Trüffelöl jahrelang großer Beliebtheit. Es stank aus Salaten mit Steinpilzen oder Mozzarella, es roch streng aus Teigwaren und Risotto, so mancher unerschrockene Koch gab Trüffelöl auch über Eiergerichte, Beef Tatar oder Käse. Bis die Gäste und deren Nasen merkten, dass es sich nicht um ein vermeintliches Luxusprodukt, sondern bloß um recht ordinären Gestank aus den Laboren der Lebensmittelindustrie handelte, verging einige Zeit.