Auf Pantelleria wachsen die Olivenbäume nicht gen Himmel, sondern Richtung Erde. Denn hier wehen die Winde anders. Im Winter kalt und stark als Mistral. Im Sommer heiß und stark als Scirocco. So stark, dass selbst die ältesten Bäume ihre Häupter vor ihnen verneigen.

 

Bint al-aryāḥ – „Tochter der Winde" – nannten die Araber die Insel, als sie diese um 800 n. Chr. eroberten. Die ersten Menschen siedelten hier jedoch schon 5.000 Jahre vor Christus, als die Urzeitmenschen allmählich von Jägern zu Hirten und Bauern wurden, wie Funde von Grabstätten belegen.

 Bauern sind die Menschen von Pantelleria bis heute geblieben, mit einer Leidenschaft, die tief verwurzelt ist in den fruchtbaren vulkanischen Böden der Insel. Mit der Fischerei konnten sie wenig anfangen, zu schroff sind die schwarzen Küsten. „So kam es auch, dass es hier in keinem einzigen Restaurant auf der Insel Fisch gab, als mein Vater in den 1980er-Jahren zum ersten Mal nach Pantelleria kam", erinnert sich José Rallo an seine Erzählungen. Winzer Giacomo Rallo verliebte sich trotzdem. Und brachte frischen Wind auf die Insel der Winde.

 

Es war 1989, als das damals noch junge Weingut Donnafugata nach Pantelleria expandierte und damit einer der Pioniere für sizilianischen Qualitätsweinbau auf die kleine Insel kam. Denn noch bis weit in die 1980er setzten die Sizilianer eher auf Masse statt Klasse. Donnafugata war und ist anders.

Die Geschichte der fliehenden Frau – und den Frauen dahinter

Donnafugata heißt übersetzt „Frau auf der Flucht". Der Name stammt aus dem berühmten Roman „Der Leopard" von Giuseppe Tomasi di Lampedusa über den allmählichen Machtverlust einer sizilianischen Adelsfamilie während des Risorgimento. Das Konterfei der fliehenden Frau mit wehendem Haar ist heute in abgewandelter Form auf jeder Flasche zu finden. Und das sind in etwa drei Millionen pro Jahr – mit 20 verschiedenen Etiketten!

Manchmal beginnt Geschichte, wenn jemand anders denkt.

Dies könnte kaum passender sein für ein Unternehmen, in dem Frauen so starke Persönlichkeiten sind. So soll sich auch Gabriella Rallo mit dem Namen durchgesetzt haben, als es 1981 darum ging, mit ihrem Mann Giacomo in vierter Generation Wein zu machen. Aber eben anders zu machen. Sie kreierte alle Etiketten selbst oder lieferte die Inspiration für den Künstler Stefano Vitale, der immer noch das Design der Flaschen verantwortet. Heute führen ihre Kinder José und Antonio das Unternehmen, das fünf Güter bewirtschaftet. Unteranderem am Ätna, dem immer wieder sehr aktiven Vulkan der Insel.

Der Ursprung der Winzerfamilie aber liegt in Marsala, wo die historischen Kellereien von 1851 immer noch von den alten Holzträgern überdacht sind. Ausgebaut wird der Wein dort je nachdem in Stahl, Zement oder Barrique. Für letztere wurde 2007 extra ein Keller in acht Metern Tiefe in den Tuffstein gegraben, wo der Wein mit wenig Energieaufwand bei 15 Grad und 85 Prozent Luftfeuchtigkeit reift.

Der Panda ist hier König.

Der Wein der Winde

Auch die Weine aus Pantelleria kommen nach Marsala, in Tanks per Schiff. „Eine Flaschenabfüllung ist dort vor Ort nicht möglich", erklärt Antonio. Warum wird ziemlich schnell klar, wenn man die engen Wege – pardon, hier tatsächlich „Straßen" genannt – sieht. Für große Transporte schlichtweg unmöglich. Der Fiat Panda ist DAS Auto auf Pantelleria. Klein, wendig und in den Serpentinen bärenstark.

Auf der Vulkaninsel wächst (fast) ausschließlich Zibibbo – besser bekannt als Moscato d‘ Alessandria. Die Rebsorte, die duftet wie Omas Rosengarten (oder im ungünstigsten Fall wie ihr Parfüm) ist die Essenz vieler Süßweine, so auch von Donnafugatas süßem Liebling: dem Passito di Pantelleria Ben Ryé.

Reben auf Knien. Menschen auch.

 

Der bernsteinfarbene Saft spiegelt das Inselleben: Mit Fug und Recht könnte man ihn den „süßen Schweiß der Engel" nennen, wenn man sich vorstellt, wie hart die Lese zum Ende des Sommers auf den Weinterrassen ist, durch die der heiße Wind pfeift. Dazu müssen sich die Erntehelfer nicht nur bücken, sondern knien. Denn die Rebstöcke – teils 130 Jahre alt – sind tief in Mulden („Conca" genannt) gepflanzt, ohne weitere Reberziehung. Erzogen werden sie ausschließlich vom Wind, der die zarten Triebe peitscht, sobald sie (hin)aufbegehren, so dass sie sich lieber in ihre Kuhlen ducken. Die Methode nennt sich so wie sie aussieht: „alberello" (Bäumchen). Sie wurde 2014 als „seltenes heroisches Beispiel des Weinbaus" in das UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen.

„Alberello“ – Weinbau als Körperhaltung.

Den einzigen Schutz für die Reben bilden die historischen, kilometerlangen Mauern aus Vulkansteinen. Und für die Erntehelfer kleine Hütten in den Weinbergen mit einem Meter dicken Mauern, die die Hitze etwas abhalten. „Dammusi" („Dachgewölbe") heißen die traditionellen Häuser der Insel. Die Bauweise hat sich mehr als bewährt: Sie ist bereits mehr als einJahrtausend alt. Ursprünglich wurden die Steine so verkeilt, dass die Häuser ohne Mörtel oder Ähnliches den Jahrhunderten trotzten. Sie waren klein und rund – heute eckig, um besser anbauen zu können. Das dicke Dach mit seiner Wölbung ist nach wie vor so geformt, dass das kostbare Regenwasser über Rinnen in die hauseigene Zisterne fließt. Denn Wasser vom Himmel ist rar auf der Insel der Winde.

Nicht aber die Sonne.

Das Geheimnis der Rosine

Die Kraft der Sonne entzieht den Weinbeeren nach der Lese den Saft. Drei Wochen lang trocknen die Zibibbo-Trauben und werden zu Rosinen. Und hier kommt das Geheimnis von Donnafugata: „Mein Vater änderte die traditionelle Passito-Produktion. Er verwendete Rosinen, die nicht so trocken waren", verrät José. „Und statt zwei Fermentationen machen wir nur noch eine: Die startet mit der Zugabe von Rosinen, die drei bis vier Wochen im Basiswein bleiben. Dies ist etwas riskant, denn dafür braucht es rosinierte Trauben von sehr guter Qualität.“

Übrigens: Auf 10.000 Liter Most kommen 70 Kilo Rosinen. Haben diese für den Passito ausgedient, werden sie weiterverwendet: für Grappa.

Knopsen sollen sie, aber nicht blühen

Die andere Spezialität der Insel wächst ebenfalls in Demut zum Winde ganz nah am Boden: Kapern. Gesalzen haltbar gemacht, findet man siean fast allem, was nicht süß ist. Und mittlerweile auch in den europäischen Gourmetläden, denn die Intensität der „Capperi di Pantelleria IGP" gilt als weltweit einmalig.

 

Dabei waren die kleinen, würzigen Kügelchen fast in Vergessenheit geraten, da die billige Konkurrenz aus Nordafrika und der Türkei auf den Märkten wucherte und auf der Vulkaninsel der Nachwuchs für das nichtmehr lukrative Geschäft fehlte. Bis ein gewisser Gabriele Lasagni kam, der in die traditionsreiche Kapernbauern-Familie Bonomo eingeheiratet hatte – und den Bauern die Kapern abkaufte. In allen Größen, auch die Kapernäpfel. Und jedes Jahr zu besseren Preisen. Mittlerweile gibt es wieder rund 400 kleinere Kapernbauern auf der Insel.

 

Diese haben eine ähnlich anstrengende Ernte wie die Helferbei der Weinlese. Denn Kapern sind die kleinen Knospen des über den Bodenkrauchenden Strauches Capparis Spinosa und müssen geerntet werden, bevor die Knospe erblüht. Heißt: Da Blütezeit von Mai bis September ist, beginnt die Ernte jeden Tag von Neuem!

Kleiner Ausflug-Tipp für Pantelleria-Reisende: In Contrada Serraglie hat die Familie Bonomo besonders beeindruckende Kapernfelder – in einem Canyon.

Es gibt ihn doch: den Fisch auf dem Teller

Eine Tochter der Bonomos betreibt an der Küste ein beliebtes Lokal. Mit täglich frischem Fisch! Denn mittlerweile kann man in den Restaurants der Insel fangfrische Meerestiere genießen. Und im „La Vela" besonders chillig mit Blick auf den schwarzen „Strand", über den die Kinder schnell ins Wasser laufen. Denn der raue Fels ist heiß. Sehr heiß. Dafür belohnt das Meer die Schnorchler mit glasklarer Sicht auf die kleinen bunten Fischchen zwischen den Felsen.

Wo Armani, Madonna und Sting entspannen

Stille ist hier lauter als Meer und Wind.

Nein, Pantelleria ist nicht unbedingt die Insel für die Liebe auf den ersten Blick. Aber der zweite hat Superstars wie Madonna, Sting oder Gerard Depardieu wohl so überzeugt, dass sie hier ein zweites oder drittes (... viertes) Zuhause haben. Wie auch Giorgio Armani, der auf Pantelleria ein Ferienanwesen mit sieben luxuriösen Dammusi gebaut hat. Vor gut 40 Jahren kam der milliardenschwere Modemacher zum ersten Mal auf die Insel – und war enttäuscht, wie er später in Interviews sagte. Nicht exotisch genug. Doch dann faszinierte ihn genau das: die nahezu ohrenbetäubende Stille. Das so seltene gewordene, unaufgeregte Sein in (s)einer sich immer schneller drehenden Welt. „Es ist der einzige Ort, der mein Gesicht verändert", sagt Armani. „Das liegt daran, dass ich wirklich entspannt bin."

 

Vielleicht ist es der unaufgeregte Charme Pantellerias. Oder aber der Wind, der alles wegbläst. Selbst Sorgenwölkchen.