Ich! Wer ich bin? Das hier ist meine erste Folge. Ich muss mich also mal erklären. Wer bin ich? Wer ist Steve Breitzke?

Richtig geraten! Wenn ein Deutscher Steve heißt und nicht Günther, dann kommt er aus dem Osten, wo die Namensgebung zu Zeiten der Deutschen Demagogischen Republik die einzige Möglichkeit der Weltläufigkeit war.

Osten also. Dort zunächst Gastrolehre. Draußen nur Kännchen. Mit 21 dann ins Bergische gegangen, ins Dreisterne-Restaurant vom Dieter Müller – eine ganz andere, ganz eigene Welt mit einer großen, aber sehr klassischen Weinauswahl.

Steve Breitzke hat immer den Überblick.

Ich soff viel deutschen Riesling und bekam erstmalig Einblick, was Wein und Essen auslösen können (a – Begeisterung, b – Katastrophen). Vier Jahre hielt ich durch, absolvierte quasi eine zweite Ausbildung (meine erste hatte ich da bereits vergessen) und der Wunsch, in einer Weinbauregion zu arbeiten, wurde immer dringlicher. So dringlich wie Harndrang nach einer Sauftour.

Eigentlich will der Wiener, dass sich generell nichts verändert.

Deshalb ging ich an die Mosel und entdeckte dort Weingüter wie Molitor, Vollenweider, Willi Schaefer und den Dings, ah, wie heißt er schnell, ach ja, den Adam. Und noch ein paar mehr. An der Mosel vollendete ich die Liebe zum Riesling. Vor allem nach Verkostungen von traumhaften Jahrgängen wie 1971 und 1976, inklusive Kopfweh am Tag danach. Ich habe dem Riesling zuerst das Duwort und danach die Heirat angeboten. Leider ist er schon verheiratet.

Wenn Sie dieses Kapitel überstanden haben, ohne sich zu fragen, was in ihm drinstand, dann können wir ja weitermachen, oder?

Der Wunsch nach Veränderung und die Verbindung („Verhaberung“ auf Wienerisch – das nur nebenbei. Sie sollen ja auch was lernen hier) der beiden Sommeliers von Dieter Müller und Andreas Döllerer brachten mich zur nächsten Station. Golling bei Salzburg. Der einzige österreichische Ort übrigens, den der Führer, auch ein Ösi, von seinem Obersalzberg-Hochstand sehen konnte. Ich stelle mir vor, wie er da zwischen 1933 und 1938 immer die paar Meter zur Straßenkehre ging (dass er das tat, ist übrigens verbrieft) und nach Golling hinunterschaute.

Was wird er sich dabei gedacht haben?

Wir schweifen ab. Zurück zum Thema.

Döllerer also. In Golling. Die Weinkarte dort hat eine geniale Jahrgangstiefe und die Familie Döllerer zog mich gleich in ihren Bann – Leute, die was tun. So soll es sein! Ich fing dort 2007 an. Anfänglich waren die Stammgäste natürlich skeptisch, wenn sie mich sprechen hörten. Hochdeutsch und fast zwei Meter groß? Was will der Piefke hier?

Aber ich bekam die Freiheit, einzukaufen, was ich einkaufen wollte.

Die Vorteile, die pflegeleichten Lieblingshaustiere der Österreicher, hielten mich aber nicht davon ab, deutsche Weine in die Begleitung einzubauen und mich durch die Weinlandschaft Österreichs zu kosten. Ich lernte Jahrgangsunterschiede, Regionen, Große Namen und Große Jahrgänge wie Ried Mariental 86 oder Pichlers Honifogl 86 kennen. Wenn Ihnen das jetzt zu insiderisch ist (ist es ja), dann googeln Sie bitte. Ich kann mich nicht wegen jedem Scheiß hier auf mehreren Spalten ausbreiten.

Damals, bei Döllerers in Golling, entstand mein Wunsch, mit kleinen Weingütern zu arbeiten! Da kam es gerade recht, dass so viele junge österreichische Winzer die Weingüter ihrer Eltern übernahmen. Spannend allemal. Doch dann kam das Angebot aus Wien und das kam vom Chef des größten österreichischen Weinkellers Österreichs, der in den Katakomben des Palais Coburg residiert.

So viele Schätze und Raritäten habe ich nie wieder gesehen: Jahrhundertjahrgänge wie 1945, 1959 und 1961, über die ich bis dato nur gelesen hatte. Jetzt durfte ich sie schlürfen. Aber das war nicht das, was ich ein Leben lang machen wollte. Und deswegen war ich auch nicht nach Österreich gegangen. Weswegen eigentlich dann? Gute Frage! Nächste Frage!

Wien gibt sich gerne weltgewandt, aber im Grunde möchte man beim Wein kaum Veränderung schmecken.

Eigentlich will der Wiener, dass sich generell nichts verändert. Deswegen geht die Welt hier, wenn sie einmal untergeht, zehn Jahre später unter.

Was ich mit den Wiener Weinen machte, nämlich die Nische zu forcieren, tat ich nun in ganz Österreich.

So wagte ich die Provokation und tat in Wien nur Ambrositsch und Göbel auf die Karte. Nicht, dass andere Wiener Winzer keine guten Weine machen. Aber ich wollte eine Weiche stellen. Hin zum Außergewöhnlichen. Denn was der Wiener nicht kennt, trinkt er nicht. Also muss man ihn zwingen. Das lässt sich der Wiener von einem Piefke wunderlicherweise gefallen.

Ich war angekommen. In Österreich. Der Piefke als Sommelier in Spitzenhäusern. Aber viel rumgekommen war ich noch nicht. Das fiel mir jetzt erst auf. Eigentlich sollte ich dorthin fahren, wo die Reben wachsen. Also fuhr ich dorthin – Frankreich, Italien, Spanien, und traf vor allem Winzer, die sich zurücknahmen, dafür umso mehr ihre Weine sprechen ließen, spannende Weine wild, saftig und mit einem Trinkfluss ausgestattet, dass ich nicht genug bekam. Auch von den Menschen nicht. Das war, wonach ich gesucht hatte!

Als ich zurückkam, nahm ich einen Aufzug nach oben. In den 18. Stock. In den Himmel des neu eröffneten Sofitel am Donaukanal. Cooles Ambiente, kleine Weinkarte, angestaubte französische Küche, die so gar nicht zu dem Haus passte.

Aber ich bekam die Freiheit, einzukaufen, was ich einkaufen wollte. Das heißt, dass man Politik machen kann. Das will nicht jeder Sommelier. Aber einer, der eine Überzeugung hat, will das. Und so wird der Beruf plötzlich auch Teil einer Bewegung, der Bewegung hin zu neuen, großartigen, andersartigen und freilich meist auch biologischen Weinen.

Die MAST Brothers (v.l.n.r.): An den Flaschen Steve Breitzke und Matthias Pitra und an den Töpfen Martin Schmid.

Das Problem war nur – wie überall – dass die Weinlandschaft (nicht nur) in Wien von großen Weinhändlern dominiert wurde, die im Grunde alle dasselbe anboten. Auf Dauer zu langweilig, also musste ich selber auf die Suche gehen! Das Internet – eine neue Erfindung, Sie werden sicher schon davon gehört haben – wurde durchforstet und plötzlich waren auch neue Weinhändler am Markt präsent. So, als hätte ich sie gerufen. Neue Ansprechpartner auch – Kumpels und Kumpelinnen. Man tauschte sich aus, trank zusammen und ich kaufte ein.

Sukzessive wurde die Weinkarte aufgepeppt. Der Himmel bekam einen reich ausgestatteten Keller. Was ich mit den Wiener Weinen machte, nämlich die Nische zu forcieren, tat ich nun in ganz Österreich. Fernab der bekannten Namen und großen Betriebe fand ich Winzer wie Martin & Anna Arndorfer, Steffi & Alwin Jurtschitsch (die natürlich Träger eines populären Namens), Claus Preisinger, Christian Tschida, Thomas Schwarz, Christoph Wachter, Gut Oggau oder Sepp Muster.

Ich war fasziniert und bin es bis heute geblieben, weil ich weiß, dass diese Winzer sich nicht nur mit dem zufrieden geben, was ist, sondern das denken, was wird. Egal ob im Weingarten oder im Keller.

Jetzt wissen Sie, was kommt. Nun folgt meine erste Empfehlung – Christian Tschida. Selbstredend ein österreichischer Winzer. Denn ich bin ein Piefke. Und lebe in Wien.

Auf nach Illmitz, bevor die verrückten Skandinavier alles wegsaufen!

Meine erste Winzer-Empfehlung – Christian Tschida aus Illmitz

Über Tschida ist in letzter Zeit viel geschrieben worden. Darunter einiges, was ihm meiner Meinung nach nicht gerecht wird. „Enfant terrible“ wird er genannt. Keiner, der ihn kennt, wird das bestätigen. Dieser Ausdruck (das schreckliche Kind) wird vor allem von Leuten missbraucht, die der Sprache nur gering mächtig sind. Enfant Terrible, nur weil Tschida Weine macht, die nicht jedem gefallen? Weil sie Ecken und Kanten haben. Wie Tschida selbst.

Moment! Tschida hat gar keine Ecken und Kanten. Aber sein Denken. Man sieht Tschida nicht auf wichtigen Messen herumstehen, wo auch jene stehen, die sagen, dass sie nicht auf Messen herumstehen. Tschidas Webseite wird seit Jahren nicht überarbeitet – warum auch? Im Ausland reißen sie sich um seine Weine. Vor allem im Skandinavien. Sei es das Geranium. Oder das Noma. Bevor Tschidas Weine in Österreich angefragt wurden, hat man sie in Elchistan schon serviert.

Moment! Tschida hat gar keine Ecken und Kanten. Aber sein Denken.

Tschida ist ein Feingeist, einer, der für guten Wein, Essen und Kaffee gern um die Welt reist, schaut, wie die dort Qualität machen und was sie unter Qualität verstehen. Von den Reisen bringt Tschida vor allem Inspiration mit, die sich dann irgendwie in seinen Weinen niederschlägt, die allesamt berühren und vor Trinkfluss und Vitalität nur so strotzen. Die leidige Frage nach den Alkoholprozenten stellt sich bei Tschida nicht, er erdet alle um die 12,5 Prozent. Dünne Weine, sagen die Marmeladetrinker. Großartig delikate Weine, sage ich.

Seine überwiegend alten Rebanlagen stehen in Illmitz und Purbach. Dort führt er mit seinem Vater ein manuelles Bewirtschaftungssystem. Die natürliche Konkurrenz der Reben mit Gräsern und Kräutern (im manch einem Sommer waren diese sogar höher als die Rebstöcke selbst) zwingen die Wurzeln in die Tiefe. So reifen gehaltvolle Trauben von hoher Intensität und dicken Häuten heran. Tschidas Moste werden freilich nicht geschönt oder anderweitig behandelt. Sie gären spontan, bis sie an ihre Grenzen stoßen.

Auf nach Illmitz, bevor die verrückten Skandinavier alles wegsaufen!

Doch trotz dieser hervorragenden Leistung, die ja Jahr für Jahr besser wird, ist Tschida nie restlos zufrieden mit dem, was er macht. Doch das treibt ihn auch an und zeichnet ihn aus. Weine wie seinen Cabernet Franc oder seinen Syrah wird man sonst im Seewinkel so nicht finden, denn die meisten dieser Weine sind alkoholgeschwängert und von neuem Holz erschlagen.

Sein reinsortiger Cabernet Franc namens Domkapitel (wir reden über den Jahrgang 2011) erinnert sofort an vergleichbare von der Loire. Alles da: Tabaknoten & Trinkfluss, Beerenfrucht & Leichtfüßigkeit. Sein Syrah Felsenstein bringt eine herzhafte Würze mit ins Glas, die mich an Sauce Puttanesca erinnert. Und wenn man im Weinviertel gern mit dem Pfefferl tanzt, sollte man vor dem Walzer unbedingt Christians 2009er Syrah probieren. Denn genau hier ist das Pfefferl auch zu Hause.

Also auf nach Illmitz, bevor die verrückten Skandinavier alles wegsaufen! Ein großes Schild wird man vergeblich suchen. Und das ist gut so!